Sonette von Shakespeare, Radikalübersetzungen

von Ulrike Draesner

1

From fairest creatures we desire increase,
That thereby beauty’s rose might never die,
But as the riper should by time decrease,
His tender heir might bear his memory:

But thou, contracted to thine own bright eyes,
Feed’st thy light’s flame with self-substantial fuel,
Making a famine where abundance lies,
Thyself thy foe, to thy sweet self too cruel.

Thou that art now the world’s fresh ornament,
And only herald to the gaudy spring,
Within thine own bud buriest thy content,

And, tender churl, mak’st waste in niggarding.
Pity the world, or else this glutton be,
To eat the world’s due, by the grave and thee.

1

von hellsten kreaturen begehren wir anstieg,
daß das mandelbrot der gekrümmten schönheit nie sterbe,
doch wie die fertigen mit der zeit verschwinden, so mag ein kopierer
be lockend die erinnerung an sie tragen: in sich.

du aber, getackert an die schlauheit deiner augen
fütterst die flamme des anscheins mit dem selbst
referentiellen öl der sprache des einzelnen,
wo überfluß zu zellen gerinnt, bist dir mit dir

genug, das ornament dieser welt: naturident
blühn im kasten die karten deines kontinents
auf, durch deinen glasstabkörper, steigt sie längst

im spendesaal, die zarte locke DNA.
bedaure die gezeugten, sonst ist es antropophagie,
das ihre zu essen, wie ihr grab, behandelst du sie.

5

Those hours that with gentle work did frame
The lovely gaze where every eye doth dwell,
Will play the tyrants to the very same,
And that unfair which fairly doth excel;

For never-resting Time leads summer on
To hideous winter, and confounds him there;
Sap check’d with frost, and lusty leaves quite gone,
Beauty o’versnow’d, and bareness everywhere:

Then, were not summer’s distillation left,
A liquid prisoner pent in walls of glass,
Beauty’s effect with beauty were bereft,

Nor it, nor no remembrance what it was.
But flowers distill’d, though they with winter meet,
Leese but their show; their substance still lives sweet.

5

die stunden, die mit weichem mull den rahmen spannten
deines blicks, in dem so gern ein fremdes auge schwimmt,
werden die transplanteure geben, als sich, an dich,
und ausgeleuchtet wird, was das leuchtendste übertraf:

die in atomen tickende zeit überführt den sommer
in strahlenderen winter, und zergründet ihn dort:
saft, im kühlschrank erstarrt, fleischige membranen, welk,
schönheit überkrustet von frost, nacktheit, an jedem ort:

stünde dann nicht das destillat des sommers im fach,
flüssiger gefangener zwischen wänden und gas,
wäre die fruchtblase der schönheit durch schönheit zerstoben

weder sie, noch erinnerung bliebe, daran, was war.
aber blumenartiges, extrahiert, in den winter geschoben,
schwappt als zellcode, milchiger saft, die zukunft ans glas.

65

Since brass, nor stone, nor earth, nor boundless sea,
But sad mortality o’ersways their power,
How with this rage shall beauty hold a plea,
Whose action is no stronger than a flower?

O, how shall summer’s honey breath hold out
Against the wrackful siege of battering days,
When rocks impregnable are not so stout,
Nor gates of steel so strong, but time decays?

O fearful meditation! where, alack!
Shall Time’s best jewel from Time’s chest lie hid?
Or what strong hand can hold his swift foot back?

Or who his spoil of beauty can forbid?
O none, unless this miracle have might,
That in black ink my love may still shine bright.

65

seit strahlendes, sowie stein, wie boden, wie in mandelbrotküsten
maßloses meer, ölige sterblichkeit mit zahllosen tanks überspült,
kriecht schönheit gegen diese wut ins glas des vier-buchstaben-worts,
wo handlung nicht stärker ist als die wendung von chlorophyll ins licht.

doch wie soll der honigatmende schaumbesatz des sommers aushalten
gegen den sieg der das schlachten zurückerfindenden tage?
wenn undurchdringliche häute und tore aus unleserlichen codes
unter dem ansturm der zeit nachgeben, welcher gedanke:

bis das mögliche im realen erscheint. wo könnte das klarste,
zeitgezeugte sich in der eigenen zeitlichkeit bergen?
oder welche hand kann diesen huschenden lammfuß je halten?

wer diesen mißbrauch hellster mischung verbieten?
keiner, außer er tritt in die macht jener wirklichkeit ein,
in der, in diesen tintenstrahl-füßen, nur die eigene folie hell scheint.